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Was geschieht HINTER der Fassade?

"Denke nicht an das was du siehst, sondern an das was nötig war um es zu produzieren!"

Hauptproblem dabei sind die vermittelten Gedankenmodelle, welche zum Hindernis des Erkennens der Wirklichkeit werden: Das Problem der „semantischen Falle“. „Wir wissen nicht, was wir nicht wissen!“ - oder, anders gesagt, wir sind immer nur in der Lage, uns beim Denken entlang der impliziten Logiken der Begriffe zu hangeln. (C. Lehmann)


Es ist im Grunde nicht schwierig...

„… eine Reihe von Schlüssen zu ziehen, deren jeder sich vom vorhergehenden ableitet und an sich unkompliziert ist. Wenn man nach diesem Vorgehen nun einfach alle Zwischenschnitte überspringt und seinen Zuhörern nun den Ausgangspunkt und die Lösung präsentiert, lässt sich eine verblüffende Wirkung erzielen, die allerdings nach Effekthascherei aussehen mag.“ *A.C. Doyle*


Donnerstag, 28. Oktober 2010

Wer sind die wahren Piraten und Seeräuber in Somalia?




Wer hätte sich das im Jahr 2009 vorstellen können, dass sich die Regierungen der Welt darüber einigen würden einen „neuen Krieg gegen Piraten“ zu führen?

Wenn sie davon lesen, dass die britische Royal Navy – begleitet von Schiffen aus gut zwei Dutzend Nationen, von den USA bis China – durch die somalischen Gewässer fährt, um vor Männern die wir uns immer noch als mit „Papageien auf der Schulter“-Bösewichte vorstellen, zu beschützen, dann werden sie bald die somalischen Schiffe bekämpfen und die Piraten sogar bis auf das Land, einem der zerstörtesten Länder auf Erden, verfolgen. Aber hinter dieser merkwürdig gutherzigen Armee-Geschichte existiert ein unsäglicher Skandal. Unsere Regierungen bezeichnen diese Vorfälle der Piraterie als „eine der größten Bedrohungen unserer Zeit“, und doch haben gerade diese Piraten eine außergewöhnliche Geschichte zu erzählen – und die Gerechtigkeit auf ihrer Seite.

Piraten sind nie das gewesen, was wir glauben, was sie waren. In den „goldenen Zeiten der Piraterie“ – von 1650 bis 1730 – war die Idee von wilden Piraten wie „Bluebeard“ nie so sinnlos, wie heute angenommen, sondern von der britischen Regierung in einer großangelegten Propaganda empor gehoben. Viele gewöhnliche Menschen glauben es sei falsch, dass Piraten von ihren Unterstützern vor dem Galgen gerettet wurden. Warum? Was haben sie gesehen was wir nicht sehen können? In seinem Buch „Villains Of All Nations“ („Piraten aller Nationen“) legt der Historiker Marcus Rediker Belege vor.

Wenn man ein Händler oder Matrose werden wollte – angeheurt an den Docks von Londons „East End“, jung und hungrig – endete man in einer schwimmenden, hölzernen Hölle. Man arbeitete die ganze Zeit auf einem engen, halbverhungerten Schiff, und wenn man dann nachließ, peitschte der allmächtige Kapitän einen mit Hieben wieder auf Vordermann. Wenn man dann öfter schlappmachte, konnte man über Bord geworfen werden. Und nach einigen Monaten oder Jahren dieser Tortur, wurde man obendrein noch um seinen Sold betrogen.

Piraten waren die ersten Menschen die gegen die Welt zu rebellieren begannen. Sie meuterten, und erschufen eine andere Arbeitsweise auf See. Wenn sie einmal ein Schiff besaßen, wählten sie ihren Kapitän, und trafen alle ihre Entscheidungen im Kollektiv, ohne dem Mittel der Folter. Sie teilten ihre Beute untereinander auf, wie Rediker es nennt „einer der ökonomischsten Pläne für die Aufteilung der Ressourcen die man irgendwo im 18. Jahrhundert finden konnte“.

Sie nahmen sogar geflohene afrikanische Sklaven auf und lebten mit ihnen unter gleichen Voraussetzungen. Die Piraten zeigten „ganz klar und subversiv, dass Schiffe nicht auf brutale und unterdrückende Art und Weise der Händler und der Royal Navy geführt werden mußten.“ Das ist der Grund warum sie romantische Helden wurden, obwohl sie unproduktive Diebe waren.

Die Worte eines Piraten aus dieser vergangenen Zeit, einem jungen britischen Mann namens William Scott, sollten der Tenor des heutigen Piratenzeitalters werden. Kurz bevor er in Charleston, South Carolina, gehängt wurde, sagte er: „Was ich getan habe war, mich der Vernichtung zu entziehen. Ich wurde dazu gezwungen ein Piratenleben zu führen.“ 1991 brach die Regierung in Somalia zusammen. Es betraf neun Millionen Menschen die seither hungernd durch das Land taumeln – und die bösesten und häßlichsten Kräfte in der westlichen, unserer, Welt haben das als große Chance gesehen, diesem Land seine Nahrungsmöglichkeiten zu stehlen und seine eigenen nuklearen Abfälle in ihren Gewässern zu versenken.

Ja, nukleare Abfälle. Sobald die Regierung fort war, starteten geheimnisvolle europäische Schiffe um an Somalias Küste aufzutauchen, und riesige Müllfässer ins Meer zu befördern. Die Küstenbevölkerung begann krank zu werden. Zu Anfang litten sie an seltsamen Ausschlägen, Übelkeit und bekamen mißgebildete Kinder. Dann, nach dem Tsunami 2005, wurden am Ufer hunderte von rostigen Müllfässern angespült. Menschen erkrankten durch ihre radioaktive Strahlung, und mehr wie 300 Menschen starben.


Ahmedou Ould-Abdallah, der somalische UN-Abgeordnete, erzählte: “Jemand läd hier seinen nuklearen Müll ab. Ebenso Blei und Schwermetalle wie Cadmium und Quecksilber – erzählt das.“ Vieles davon führt zurück bis in europäische Krankenhäuser und Fabriken, die offenbar diese Materialien an die italienische Mafia weitergeben, um sie so billig wie möglich loszuwerden. Als Herr Ould-Abdallah gefragt wurde, was europäische Regierungen dagegen unternehmen würden, sagte er mit einem Seufzer: „Nichts. Es gibt keine Säuberungen, keine Kompensierungen, und keine Vorbeugung.“

Zur selben Zeit plünderten andere europäische Schiffe Somalias Gewässer und ihre größte Ressource: die Meeresfrüchte. Wir haben unsere eigenen Fischreserven durch Raubzüge zerstört – und jetzt sind wir dabei ihre zu zerstören. Mehr als 300 Millionen Dollar an Wert von Thunfisch, Shrimps und Hummer werden jedes Jahr durch illegale Schleppnetzfischer geraubt. Die ansässigen Fischer müssen hungern. Mohammed Hussein, ein Fischer der Stadt Marka, 100 Kilometer südlich von Mogadischu, erzählte Reuters: „Wenn nichts getan wird, gibt es bald keinen Fisch mehr in unseren Küstengewässern.“

In diesem Zusammenhang muß das dortige Phänomen der Piraterie verstanden werden. Somalische Fischer nehmen sich Schnellboote und versuchen die Müllfrachter und die Schleppnetzfischer davon abzuhalten, oder wenigstens eine Art „Steuer“ von ihnen dafür zu erhalten. Sie selbst nennen sich die freiwillige Küstenwache von Somalia – und der gewöhnliche Somalier ist damit einverstanden. Die unabhängige somalische Nachrichtenseite „WardheerNews“ beziffern die Zahl derer „welche die Piraterie als Form der nationalen Verteidigung unterstützen“ auf 70 Prozent.

Nein, das macht Geiselnahmen nicht vertretbar, und ja, einige darunter sind eindeutig Verbrecher – besonders diese, die dabei geholfen haben, das Welternährungsprogramm zu etablieren. Aber in einem Telefoninterview sagte einer der Piratenanführer, Sugule Ali: „Wir selbst betrachten uns nicht als Seeräuber. Wir betrachten Seeräuber als diese, die in unseren Gewässern illegal fischen und ihren Müll abladen.“ William Scott würde das verstehen.

Wir erwarten, dass hungernde Somalier einfach an ihren Ständen stehen, in durch uns verseuchten Gewässern paddeln, und uns dabei zusehen, wie wir ihren Fisch abgreifen, um ihn dann in den Restaurants von London, Paris und Rom zu fressen? Wir würden solchen Verbrechen niemals tatenlos zusehen – der einzigen vernünftigen Lösung für solch ein Problem – denn wenn irgendwelche Fischer auf die Idee kämen den Transitkorridor von 20 Prozent des weltweiten Ölbedarfs zu behindern, oder gar zu stoppen, wir würden sofort eine Armada losschicken und ihnen den garaus machen. Das würden wir tun.

Diese Geschichte des Jahres 2009, “Krieg den Piraten”, wurde am Besten von einem anderen Piraten, der im 4. Jahrhundert lebte, zusammengefasst. Er wurde gefangen genommen und zu Alexander dem Großen gebracht, der wissen wollte „was hat es mit der Beherrschung der Weltmeere auf sich.“ Der Pirat lächelte, und sagte: „ Was Sie auch die ganze Welt zu erobern nennen; doch ich mache es mit einem kleinen Schiff, ich werde Räuber genannt, während Sie, der es mit einer großen Flotte macht, großer Kaiser genannt wird.“ Noch einmal, unsere große imperialistische Seeflotte – aber wer ist der wahre Räuber?


(Monday, January 5th, 2009, The Independent)
Übesetzung ins Deutsche von War Blog DK germany

Von all jenem liest und hört man in deutschen Medien nicht viel. Man liest viel eher davon, warum es denn in der westlichen Hemisphäre viel interessanter sei, und natürlich mit dem großen Zugpferd, dem Geld, zu begründen eine Privatarmee anzuheuern um europäische Schiffe während ihrer Plünderungszüge und nuklearen Müllabsonderungen in fremden, weit entfernten Gewässern beschützen zu lassen.



Ein ebenfalls lesenswerter Bericht mit weiteren Hintergrundinformationen zu „somalischen Anti-Atom-Piraten“ ist hier zu lesen:


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